8. MAI 2024
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PERSÖNLICHE PROBLEME
Dir gehts nicht gut? Diese Strategien können dir helfen
Das Wichtigste in Kürze
- Bewältigungsstrategien helfen dir im Umgang mit starken Gefühlen oder hoher Anspannung.
- Sie sind eine Alternative zu schädigenden Handlungen wie zum Beispiel Selbstverletzung.
- Es ist wichtig, verschiedene Bewältigungsstrategien zu kennen und zu üben.
- Welche Strategien helfen, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Bestimmt kennst auch du solche Tage: Du hast die Mathe-Prüfung verhauen, vom Mittagessen prangt ein grosser Saucenfleck auf deinem weissen T-Shirt, dein Schwarm hat dir einen Korb gegeben und zu Hause herrscht sowieso dicke Luft. Manchmal fühlt man sich einfach mies. Was schieflaufen kann, läuft schief. Man hat keinen Bock auf Gesellschaft und fühlt sich trotzdem allein. Oder abends im Bett kreisen die Gedanken und rauben dir den Schlaf.
Aus einem solchen Loch herauszukommen kann ganz schön schwer sein. Vielleicht gerätst du in Versuchung, deine Probleme mit Alkohol oder Drogen zu betäuben. Oder du verletzt dich selbst, um den seelischen Schmerz zu lindern. Kurzfristig mag dies helfen. Langfristig werden die Probleme dadurch aber nicht gelöst. Möglicherweise entwickeln sich sogar noch zusätzliche Probleme wie eine Sucht. Besser ist es, wenn du Bewältigungsstrategien lernst, welche dir helfen, mit schwierigen Gefühlen, Gedanken und Situationen gut umzugehen.
Was sind hilfreiche Bewältigungsstrategien?
Skills respektive Bewältigungsstrategien sind Fertigkeiten, die dir in schwierigen Situationen helfen, dich zu beruhigen und mit schwierigen Gefühlen umzugehen. Man nennt sie auch Coping-Strategien. Sie stärken dich und können genutzt werden, um schwierige Gefühle wie generelle Unruhe, Stress, Anspannung, Traurigkeit, Wut, Angst, Einsamkeit oder Leere auszuhalten.
Welche Skills helfen, ist jedoch von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation verschieden. Auch können sie sich abnutzen. Deshalb ist es wichtig, immer wieder neue Skills auszuprobieren und verschiedene Coping-Strategien zu kennen. Mit der Zeit wirst du wissen, welche Strategien bei dir wirken und wie du sie am besten anwenden kannst.
Lenk dich ab
Ablenkung gehört zu den effektivsten Methoden, um aus einem negativen Gefühlszustand herauszukommen. Du kannst beispielsweise
- ein Buch lesen.
- ein Hörspiel anhören.
- einen Film oder deine Lieblingsserie schauen.
- deine Lieblingsmusik hören.
- mit Freunden abmachen, telefonieren, chatten.
- mit deinem Haustier spielen.
- ein Gesellschaftsspiel oder Computerspiel spielen.
- ein Puzzle machen.
- Sport treiben: Joggen, Velo fahren, Tanzen, Schwimmen, etc.
- an der frischen Luft spazieren gehen.
- dein Zimmer aufräumen.
- basteln, zeichnen oder malen.
- ein Instrument spielen.
- schwierige Rätselaufgaben lösen.
Spüre dich und deinen Körper
Du kannst deine Sinnesorgane und deinen Körper nutzen, um ins Hier und Jetzt zurückzukommen und dich zu beruhigen. Folgendes kannst du tun:
- Benenne Dinge, die du mit deinen Sinnen wahrnimmst: Blicke dich um und nenne Dinge, die du sehen kannst. Lausche und nenne Dinge, die du hören kannst. Was riechst du?
- Konzentriere dich auf deine Fusssohlen, um dich zu erden: Steh auf und spüre deine Fusssohlen am Boden. Nimm zunächst die Empfindungen an den Stellen wahr, an denen die Fusssohlen den Boden berühren. Wiege dich sanft nach vorne und hinten und von rechts nach links, um die Empfindungen besser zu spüren. Mach vielleicht auch kleine, kreisende Bewegungen mit den Knien und spüre, wie sich die Empfindungen in den Fusssohlen dabei verändern. Wenn die Gedanken abschweifen, richte deine Aufmerksamkeit einfach wieder auf das Spüren der Fusssohlen.
- Schüttle oder klopfe Belastendes ab: Stell dir vor, du klopfst oder schüttelst alles Belastende und Schwere aus deinem Körper und aus deinem Leben. Klopfe dabei den Körper ab oder schüttle die Arme und Beine.
- Massiere dich selbst mit einem Igelball oder Tennisball.
- Knete mit deinen Fingern Knetgummi oder einen Knetball. Probiere verschiedene Härten von Knete und Knetbällen aus.
- Hör stimmungsaufhellende Musik und tanz dazu.
- Rieche an Aromaölen.
- Mach dir eine Wärmeflasche. Leg sie dir auf den Bauch oder an die Füsse und nimm die Wärme wahr.
Entspann dich
Entspannungs- und Atemübungen können dir helfen, dein Stresslevel zu senken und Angst zu mildern. Machst du regelmässig Entspannungsübungen, hilft dir das, deine Grundanspannung zu senken und deine Frustrationstoleranz zu erhöhen. Diese Skills helfen dir also nicht nur in herausfordernden Situationen, sie stärken dich auch grundsätzlich. Probier folgende Techniken aus:
- Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen: Spann nacheinander von Kopf bis Fuss unterschiedliche Muskelgruppen an und entspann sie wieder. Verschiedene Videos zum Mitmachen findest du auf YouTube, wenn du nach «Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen» suchst.
- Bodyscan: Nimm nacheinander jeden Körperteil aufmerksam wahr und entspanne ihn bewusst. Auf YouTube findest du verschiedene Videos, in denen dir gezeigt wird, wie du einen Bodyscan machen kannst.
- Tiefe Bauchatmung: Leg deine Hände auf den Bauch und atme tief in den Bauch. Nimm beim Einatmen bewusst wahr, wie sich dein Bauch hebt und wölbt. Achte dich beim Ausatmen, wie dein Bauch sich senkt. Stell dir dabei vor, dein Bauch wäre ein Luftballon, der beim Einatmen aufgeblasen wird und aus dem beim Ausatmen die Luft wieder rausgelassen wird.
- Heisse-Schokolade-Atmung: Tu so, als ob du den Geruch einer heissen Schokolade riechen würdest (durch die Nase einatmen). Puste dann, um die Schokolade etwas zu kühlen (durch den Mund ausatmen).
- Viereck-Atmung: Atme langsam durch deine Nase ein. Zähle dabei bis vier. Halte anschliessend den Atem für vier Sekunden an. Atme innerhalb von vier Sekunden durch den Mund wieder aus und halte anschliessend den Atem nochmals für vier Sekunden an. Gedanklich folgst du dabei den Aussenseiten eines Quadrats. Wiederhole das Ganze ein paar Mal, bis du dich etwas entspannter fühlst.
- Das Ausatmen verlängern: Ausatmen wirkt entspannend. Du kannst diesen Mechanismus nutzen, indem du das Ausatmen verlängerst. Atme ein und zähle dabei bis vier. Halte den Atem kurz an. Atme dann aus und zähle dabei bis acht. Wiederhole diese Übung ein paar Mal, bis du eine Wirkung spürst.
Lass schwierige Gedanken und Gefühle zu
Schwierige Gefühle und Gedanken zu haben, ist ok. Du darfst sie zulassen und musst sie nicht unterdrücken. Beim Versuch, sie zu unterdrücken, werden sie möglicherweise sogar eher verstärkt und aufrechterhalten. Folgende Übungen können dir helfen, dich mit belastenden Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen und einen besseren Umgang mit ihnen zu finden:
- Konzentriere dich auf den körperlich gefühlten Aspekt des Gefühls: Verbanne alle Bilder und Gedanken aus dem Kopf, die zum Gefühl gehören. Konzentriere dich ausschliesslich auf das Körpergefühl. Wo im Körper nimmst du dieses Gefühl wahr? Versuch das Gefühl zu beschreiben. Wenn das Gefühl eine Form hätte, welche Form wäre dies? Welche Farbe hat es? Ist es hart oder weich? Kalt oder warm? Beobachte, wie es sich verändert oder sogar auflöst und verschwindet.
- Übe dich in Selbstmitgefühl: Bring dir die schwierige Situation in Erinnerung, die du gerade zu bewältigen hast. Stell dir vor eine Freundin erlebt eine ähnliche Situation. Was würdest du der Person sagen? Wie würdest du es sagen? Kannst du etwas in der Art zu dir selbst sagen? Spende dir Trost und sprich dir Mut zu, wie du es bei einer Person tun würdest, die dir am Herzen liegt.
- Gefühle benennen und Gedanken kategorisieren: Benenne schwierige Gefühle wie beispielsweise Wut oder Traurigkeit. Kategorisiere Gedanken nach Thema wie Schule, Familie, etc. Das kann dir dabei helfen, dich ein bisschen davon zu distanzieren.
- Schreib Tagebuch, male, zeichne, musiziere oder schreib ein Gedicht und drücke damit aus, was dich beschäftigt.
- ABC-Modell der Gefühle: Das ABC der Gefühle geht davon aus, dass niemals eine Situation selbst in uns Gefühle hervorruft. Es ist unsere individuelle Bewertung der Situation, die unsere Gefühle bestimmt. Nimm dir für diese Übung ein Blatt Papier und zeichne vier Spalten ein. A (erste Spalte)= Auslöser: Was ist passiert? Beschreibe die Situation. B (zweite Spalte) = Bewertung: Was hast du gedacht? Beschreibe deine Gedanken. C (dritte Spalte) = Konsequenzen: Wie hast du dich gefühlt? Beschreibe deine Gefühle. Überlege dir für die vierte Spalte, ob du die Situation auch anders bewerten könntest. Welcher Gedanke könnte hilfreich sein, damit du dich besser fühlst?
- Expressives Schreiben: Schreib an vier aufeinanderfolgenden Tagen für je 10 bis 20 Minuten spontan über ein Thema, das dich belastet. Schreib alles auf, was dir in dem Sinn kommt, ohne deine Gefühle und Gedanken zu zensieren und ohne den Schreibfluss zu unterbrechen. Diese Übung kann dir helfen, neue Erkenntnisse zu gewinnen und das Vorgefallene zu verarbeiten. Du kannst loslassen und dir Stress von der Seele schreiben. Vielleicht fühlst du dich während und kurz nach der Schreibübung aufgewühlt. Das ist normal und kein Grund zur Sorge.
- Sorgen-Zeit einrichten: Nimm dir täglich ca. zehn Minuten Zeit und schreib alles auf, was dich belastet. Du kannst den Zettel im Anschluss vernichten, indem du ihn zerreisst, darauf herumtrampelst oder ihn verbrennst. Den Rest des Tages beschäftigst du dich mit anderen Dingen. Sollten die Gedanken dennoch wieder aufkommen, sagst du zu dir selbst: «Für heute ist meine Sorgenzeit vorbei. Ich werde mich morgen zur Sorgenzeit wieder damit beschäftigen.» Dann wendest du deine Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen zu.
- Rede mit Freunden oder einer erwachsenen Vertrauensperson darüber, was dich belastet und wie es dir gerade geht. Gespräche können guttun und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.
Nutze starke sensorische Reize
Bei starken Erregungszuständen kannst du starke sensorische Reize nutzen oder dich körperlich so richtig auspowern, um dich zu beruhigen. Diese Skills sind für Ausnahmesituationen gedacht und sollten nicht zur Emotionsregulation eingesetzt werden:
- Lass kaltes Wasser über die Handgelenke und Armbeugen fliessen.
- Dusche kalt oder halte deinen Kopf unter kaltes Wasser.
- Massiere mit einem Eiswürfel in kreisenden Bewegungen deinen Unterarm. Achte darauf, dass der Eiswürfel immer in Bewegung bleibt, bis er vollständig geschmolzen ist.
- Lege ein Kühlpad auf die Unterarme, Handgelenke, Stirn oder Nacken.
- Lege ein Gummiband um dein Handgelenk. Ziehe das Band mit der anderen Hand ca. 10-20 cm vom Arm hoch und lass es zurückschnellen. Finde heraus, wie weit du das Band hochziehen musst, damit das Gummiband das Piksen in der richtigen Stärke auslöst.
- Beiss in eine Zitrone oder Chili-Schote, träufle dir Tabasco auf die Zunge oder nimm sehr scharfe oder saure Bonbons oder Kaugummis in den Mund.
- Nimm einen extra starken Menthol-Kaugummi oder Halsbonbon. Schliesse wenn möglich die Augen und atme kräftig durch die Nase ein und aus.
- Mach Liegestützen, Burpees oder andere anstrengende Fitnessübungen.
- Lauf schnell im Treppenhaus hoch und runter.
- Mach einen Knoten in ein Handtuch und schlage damit auf dein Bett. Stell dich am besten direkt vor dein Bett und hole mit aller Kraft aus. Versuch, mindestens 30 Sekunden lang immer wieder mit voller Kraft auf die Matratze zu schlagen. Lass deine ganze Energie raus.
- Mach ein Handtuch nass und wringe es aus.
Schau auch im Alltag gut zu dir
Es ist nicht nur wichtig, dass du Bewältigungsstrategien für schwierige Situationen hast. Es ist grundsätzlich wichtig, dass du gut für dich sorgst. Dann bist du gestärkt und kannst besser mit herausfordernden Situationen umgehen.
- Sorge für ausreichend Schlaf und Erholung.
- Sorge für ausreichend Bewegung. Bewegung baut Stress ab und hebt die Stimmung.
- Nimm deine Bedürfnisse wahr: Was brauchst du gerade? Was würde dir guttun?
- Nimm dir Zeit für Freunde und Familie.
- Tue Dinge, die dir Freude machen und dich begeistern, auch wenn dir mal gar nicht danach ist.
- Nimm Positives wahr: Reserviere dir täglich 5-10 Minuten, um die folgenden zwei Fragen zu beantworten: 1. Was lief heute gut? 2. Wie ist es dazu gekommen? Das gibt dir Aufschluss darüber, wie du mehr von den positiven Erlebnissen realisieren kannst. Falls es dir schwerfällt, positive Sachen zu nennen, kannst du folgendes versuchen: Nimm etwas Kleines wie beispielsweise Murmeln in deine linke Hosentasche. Jedes Mal, wenn du etwas Positives erlebst, nimmst du eine Murmel und steckst sie in deine rechte Hosentasche. So kannst du positive Erlebnisse sichtbar machen. Denke daran, dass es keine grossen Sachen sein müssen. Es kann etwas ganz Kleines sein wie zum Beispiel ein Lächeln oder ein freundliches Wort einer anderen Person, das Wetter oder eine Ampel, die auf grün steht.
- Gönne dir ab und zu ein Entspannungsbad.
- Lege regelmässig Handypausen ein.
Stell dir ein Notfalltäschli zusammen
Wenn du magst, kannst du ein Notfalltäschli zusammenstellen. In dieses kannst du Dinge tun, die dir in einer schwierigen Situation helfen können, mit deinen Gefühlen und Gedanken umzugehen. Zum Beispiel:
- Starke Menthol-Kaugummis
- Duftöle
- Merkzettel mit hilfreichen Bewältigungsstrategien
- Fotos von wichtigen Menschen/Haustieren
- Notfallnummern wie das 147.
- …
Skills müssen immer wieder geübt werden
Vermutlich kennst du schon Strategien, um schwierige Gefühle und Stress zu bewältigen. Es kann aber gut sein, dass dir diese Coping-Strategien in einer schwierigen Situation nicht einfallen. Verurteile dich selbst nicht, wenn du destruktives Verhalten anwendest, etwa deinen Kummer im Alkohol ertränkst oder dich selbst verletzt. Wichtiger ist, dass du konstruktive Bewältigungsstrategien lernst, um besser mit deinen Gefühlen umzugehen. Mach dir diese Strategien bewusst und übe sie immer wieder. Vielleicht schreibst du sie dir sogar auf einem Merkzettel auf.
Vielleicht kennen Erwachsene in deinem Umfeld weitere hilfreiche Skills, die du ausprobieren kannst. Möglicherweise haben jedoch auch die Erwachsenen in deinem Umfeld keine Strategien, um mit ihren Gefühlen umzugehen. Dann fehlen dir positive Vorbilder. Es ist aber nie zu spät, alternative Bewältigungsstrategien zu lernen.
Tipps: So kannst du die Skills besser anwenden
- Wende die Skills früh genug an, bevor das Erregungsniveau zu hoch ist.
- Trainiere deine Selbstwahrnehmung, damit du Warnzeichen früh erkennen kannst. So kannst du rechtzeitig gegensteuern. Je früher du bemerkst, dass dein Erregungsniveau steigt, desto weniger starke Skills benötigst du zur Bewältigung.
- Übe Strategien dann, wenn es dir gut geht oder bei kleineren Stressoren. Es braucht Übung, um eine Strategie auch anwenden zu können, wenn man sehr aufgewühlt ist.
- Hast du in der Vergangenheit schädigende Verhaltensweise wie beispielsweise Selbstverletzung angewandt? Welche Funktion hatte dieses? Wenn du die Funktion der negativen Coping-Strategien kennst, ist es leichter, eine Alternative dafür zu finden.
Trau dich, Hilfe zu holen
Viele dieser Tipps kannst du selbst anwenden und ausprobieren. Es kann jedoch sein, dass diese Tipps allein nicht ausreichen oder du Unterstützung brauchst, um alternative Bewältigungsstrategien zu etablieren. Das bedeutet nicht, dass du schwach bist. Es gibt Situationen im Leben, die mehr Unterstützung erfordern. Es ist ein Zeichen von Stärke, sich Hilfe zu holen. Das kann zum Beispiel bei deinen Eltern sein, der Schulsozialarbeit, beim 147 oder einer Jugendberatungsstelle.